Die Tochter von SoMA Austria-Mitglied „Violet Crow” ist von einer Anorektalen Malformation betroffen. In diesem Blogbeitrag erzählt die Mutter über die Zeit vor der Operation.
Mein Muttertagsgeschenk kam zwar elf Tage nach dem errechneten Termin zur Welt, aber bei ihrer großen Schwester war es genau gleich. Auch sie brauchte elf Tage länger. Dafür war die Geburt meiner Tochter das wohl schönste Geschenk, was eine Mama zum Muttertag überhaupt bekommen kann.

Nach der Geburt war niemandem aufgefallen, dass unsere Tochter eine Fehlbildung hat. Ich werfe ihnen allesamt nichts vor, auch wenn eine Hebamme, mehrere Schwestern und ein Arzt auf sie geschaut haben. Erst an dem Tag, an welchem wir das Krankenhaus verlassen wollten – Tag zwei – kam der Kinderarzt wegen der Mutter-Kind-Pass Untersuchung zu uns und erkannte, dass da etwas nicht stimmte. Genaueres konnte er mir nicht sagen, er holte auch noch einen zweiten Arzt dazu und gleich darauf wurde auch schon die Rettung verständigt, damit wir in die Kinderchirurgie verlegt werden konnten.
An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass mir sehr wohl etwas komisch vorgekommen ist, aber ganz ohne Vorkenntnisse hingehend dieser Richtung, konnte ich nur annehmen, dass alles okay war. Unsere Tochter hatte die ersten Tage sehr oft Stuhlgang, dafür war es nicht immer viel, aber eben sehr oft. Mir kam das Popoloch schon irgendwie seltsam vor, aber nachdem sie Stuhl absetzen konnte, machte ich mir nicht viele Gedanken darüber. Meine Sorge galt eher der Tatsache, dass sie kaum essen wollte. Ich musste sie regelrecht dazu zwingen.
In der Kinderchirurgie
Als wir in der Kinderchirurgie ankamen, warteten schon die große Schwester und der Papa auf uns. Gemeinsam kamen wir mit Verzögerung in den Untersuchungsraum, wo unsere Tochter von der Oberärztin, die sie später auch mitoperierte, zum ersten Mal bougiert wurde. Ich nenne diese Oberärztin Ärztin A. Es kam richtig viel Stuhl, ich dachte schon, das hörte gar nicht mehr auf. Zu sehen, dass meiner Tochter etwas fehlte, dass etwas nicht in Ordnung war, tat meinem Herzen so unglaublich weh. Später, als wir dann wieder zu zweit waren, wurde ich von einem Assistenzarzt über Weiteres aufgeklärt und heulte dabei erneut wie ein Schlosshund. Seine Frage diesbezüglich werde ich nie vergessen: „Habe ich Sie mit irgendetwas beunruhigt?“ Gott, meine Hormone spielten zwei Tage nach der Geburt einfach noch vollkommen verrückt und die Ungewissheit, was mit meinem Baby los war, machte mich wahnsinnig. Also ja, all das beunruhigte mich sehr. Da ich aber nicht wusste, dass er ein Arzt war, fragte ich ihn, ob er Taschentücher für mich hätte. Ich werde echt nie vergessen, dass ich einen Arzt dazu aufgefordert hatte, mir Taschentücher zu bringen. Ja natürlich hatte man uns darüber informiert, dass gleich noch ein Arzt kommen würde, wie ich von meinem Mann erfahren hatte, aber in diesen endlosen Stunden ging vieles einfach in dem einen Ohr hinein, im anderen wieder hinaus.
Auf der Station waren wirklich alle sehr lieb zu uns. Außerdem waren alle total neugierig auf das kleine Baby. Wir lernten in den nächsten Tagen sehr viele Ärzte kennen, unter anderem auch Ärztin B, über die ich so unglaublich dankbar bin. So eine herzensgute und kompetente Ärztin, die auf die Fragen, die Sorgen und Ängste der Eltern eingeht. Während dieser ersten Tage wurden wir von Ärztin B über die Erkrankung anorektale Malformation mit perinealer Fistel aufgeklärt. Ebenso über die Organisation SOMA Austria, welche ich allen Eltern und Betroffenen empfehlen kann.
Die ersten Tage waren jedoch auch sehr hart, weil meine erstgeborene Tochter sehr oft bei den Großeltern untergebracht wurde, damit Papa ebenso zu uns ins Krankenhaus kommen konnte. Wir lernten, wie wir richtig bougierten, da wir zuhause dann zwei Mal täglich, also in der Früh und am Abend, bougieren mussten. Anfangs noch mit Spülung, später dann Spülung bei Bedarf. Wir hatten aber sehr oft, meistens am Abend, mit NaCl gespült und danach bougiert.
Nicht weniger hart waren aber die Nächte und Stunden, wo meine Tochter und ich alleine waren. Dr. Google sollte man in solchen Situationen nicht fragen, denn ich hatte aufgrund aller Erkrankungen, die sie vielleicht haben könnte, geweint. Die Schlimmste darunter war eine, wo sie nicht älter als sieben Jahre werden könnte. Verdammt, das waren harte Stunden, in denen ich mir die schrecklichsten Szenarien ausgemalt hatte.
Da bei einer Fehlbildung selten eine alleine kommt, wurde meine Tochter stark unter die Lupe genommen und untersucht. Sie wurde geröntgt, die wohl schlimmste Untersuchung für mich als Mama. Ich half mit, mein Baby zu stabilisieren, sodass sie sich nicht mehr bewegen konnte, musste zuhören, wie sie schreite und weinte. Bei all den Untersuchungen musste ich selbst auch so viel weinen, nicht nur wegen meiner Entbindung, die noch nicht lange vergangen war, sondern auch, weil es unglaublich weh tat, meinem Baby nicht helfen zu können. Eine weitere Untersuchung, die mir das Herz zerrissen hatte, waren die Ultraschalluntersuchungen von Kopf, Rücken und Bauch. Leute, das ist eine sehr lange Prozedur, wenn das Baby durchgehend schreit.
Muttermilch oder Pre-Nahrung
Als wir endlich nach Hause durften, wartete wenig später schon die nächste Hürde auf uns. Als wäre die Erkrankung meiner Tochter nicht schon genug, wollte auch mein Körper nicht so richtig mitspielen. Eine wunderbare Ärztin auf der Intensivstation (nach der OP) sagte zu mir: „Eh klar, der ganze Stress.“ Sie war eine der wenigen, bei der ich mich sofort verstanden gefühlt hatte und ich nicht schräg angeschaut wurde, weil meine Tochter keine Muttermilch mehr bekam.
Wenn du nicht stillst, weil du es aus verschiedenen Gründen nicht kannst, dann bist du keine Rabenmutter! Ich selbst hatte mir das verinnerlichen müssen, heulte Rotz und Wasser, weil es beim zweiten Kind einfach nicht klappen wollte, aber fühle mich nun gut mit der Entscheidung, Pre-Nahrung zu geben.
Es gibt viele Gründe, wieso man aufhört zu stillen. Manchmal hat man zu wenig Milch, manchmal einen Milchstau oder einen Vasospasmus. Letzteres traf auf mich zu, inklusive Anschreien der anderen Brust. Die eine Brust schmerzte also höllisch, wenn davon getrunken wurde, die andere wurde zu fünfzig Prozent nur angeschrien – trotz Hunger. Fantastisch war das. Absolut toll, und es zerrte gar nicht an meinen Nerven. Noch dazu wusste meine Hebamme nicht, was ich hatte, und meine Frauenärztin anfangs ebenso wenig. Dass ich also Schmerzen hatte und mir nicht richtig geholfen werden konnte, war noch eine zusätzliche Last, weshalb ich, was das Thema Stillen anging, nervlich am Ende war.
Meine erste Tochter wurde gestillt, bis sie fünfzehn Monate alt war. Ich hatte mir für meine zweite Tochter das gleiche gewünscht, doch wie es das Schicksal so wollte, stellte es uns dieses Mal nicht nur einen dicken, fetten Felsbrocken in den Weg, sondern gleich mehrere. Ich fühlte mich anfangs ehrlich wie so eine Rabenmutter, weil ich mit der Muttermilch aufhören wollte. Doch an alle Mamas da draußen: Wir leben nicht in Afrika, wie mir die liebe Ärztin B mitteilte, wir können auf Pre-Nahrung zurückgreifen und müssen nicht unter Schmerzen stillen. Das Leben ist oftmals schon kompliziert und schwer genug, und wenn es etwas gibt, was uns das Leben erleichtern kann, dann bitte, lasst es uns doch machen. Wir müssen nicht auf Biegen und Brechen versuchen, etwas zu tun, was uns selbst nicht gut tut. Das alles hat mir auch Ärztin B erklärt, als wir ein ausführliches Telefonat diesbezüglich gehalten hatten.
Ja, Muttermilch ist das Beste fürs Baby. Aber wenn es nicht geht, dann ist Pre-Nahrung auch nicht schlecht. Denn wenn es uns als Mami nicht gut geht, dann überträgt sich das auf das Kind und dann gibt es wieder etwas, was nicht klappt. Es ist ein Teufelskreis.
Ich kenne die Vorteile und die Nachteile vom Stillen durch meine erste Tochter so gut. Und jetzt kenne ich die Vorteile und Nachteile der Flaschennahrung durch meine zweite Tochter. Man passt sich den Gegebenheiten ohnehin an. Wenn es also mit dem Stillen nicht klappt, dann also Flaschennahrung. Denn auch wenn man die Flasche gibt, kann man dem Baby hundertprozentige Liebe schenken und das ist sowieso das Allerwichtigste!
Hauptsache gesund
In der Schwangerschaft hieß es oft – und auch ich habe diesen Satz verwendet – egal, ob Mädchen oder Junge, Hauptsache gesund! Aber heißt es, dass ich deshalb mein Baby weniger liebe, wenn es das nicht ist? Oder gar, kein Recht auf Leben hätte?
Nein, natürlich nicht! Denn ja, es ist schön, wenn alles gesund und richtig ist, und wenn es das nicht ist, dann kann es einem schon einmal den Boden unter den Füßen wegziehen. Vor allem, wenn man in der Schwangerschaft Zusatzuntersuchungen machte, um sicherzugehen, dass alles am richtigen Fleck ist und so funktioniert, wie es sollte. Aber natürlich sind diese Untersuchungen keine Garantie dafür, dass dann tatsächlich alles gut ist, und überhaupt: Hätte es etwas geändert?
In meinem Fall: Natürlich nicht. Meine zweite Tochter hat eine Fehlbildung, die sich eben anorektale Malformation mit perinealer Fistel nennt. Ich hatte keine Ahnung, hätte nie damit gerechnet, dass es genau mein Baby trifft! Wo doch nur jedes 2500. bis 5000. Baby mit dieser Fehlbildung geboren wird. Jungs noch dazu häufiger als Mädchen. Aber rechnet man selbst sowieso nicht nie damit? Findet es unvorstellbar und unfair, dass es genau einen selbst trifft?
Ja, es ist schön, wenn alles gesund und richtig ist – so wie bei meiner ersten Tochter. Es ist wirklich schön, wenn man die erste Lebenswoche nicht auf der Kinderchirurgie verbringen muss, nicht zusehen muss, wie das eigene Baby schreit und weint, weil es so viele Untersuchungen über sich ergehen lassen muss. Es ist wirklich schön, wenn man nicht bis zum Entlassungstag auf der Gebärstation denkt, dass alles okay ist, und dann kommt der Kinderarzt damit an, dass doch nicht alles gut ist und man verlegt werden muss. Es ist wirklich schön, wenn das Mamaherz nicht bluten muss, weil man bei den Untersuchungen nicht viel tun oder helfen kann.
Doch wir können uns wirklich glücklich schätzen, zu einer Zeit geboren worden zu sein, wo die Medizin schon so weit fortgeschritten ist. Denn wenn man genauer darüber nachdenkt, wer von uns Menschen es vielleicht nicht bis hierhin geschafft hätte, wenn wir zu einer anderen Zeit geboren worden wären, dann kann man nicht anders, als dankbar zu sein.
Vielleicht denkt der ein oder andere genauer darüber nach, wenn er einem Elternteil sagt: Hauptsache gesund! Denn nein, das muss nicht immer sein und man muss es den Kindern äußerlich auch nicht ansehen. Nicht alle Kinder sind gesund, sehr viele sind es nicht. Dafür werden sie aber geliebt. Hoffentlich – stark, stark, stark geliebt.
Tägliche Routine
Zuhause bougierten wir also täglich zweimal. Mal zu zweit, mal der Papa alleine, mal die Mama alleine. Die Fäkalien hatten wir auch überall – Mama trägt zum Glück eine Brille. Den Papa erwischte es einmal sogar im Auge. Die große Schwester wurde auch erwischt, die Hunde auch einmal. Den Teppich unter dem Wickeltisch verbannten wir ebenfalls aus dem Zimmer und generell war das Bougieren sehr oft sehr abenteuerlich. Unsere ältere Tochter spielte das Bougieren sogar mit ihren Puppen nach und gäbe bestimmt mal eine super Ärztin ab.
Es stand noch das MRT an, denn auch hier musste unsere Tochter untersucht werden. Es gab einige Komplikationen, was den Termin anging, Feed and Wrap klappte leider ebenso nicht, weshalb wir einen neuen Termin für das MRT in Narkose bekamen. Zuhause ging es dann wie gehabt weiter. Bougieren, Bauch massieren, Liebe schenken, gemeinsam Büchler lesen, im Mami-Alltag leben und aufgehen … und so weiter.
Schlussworte
Das war ein Einblick vor der OP. Sollte Interesse bestehen, schreibe ich sehr gerne einen weiteren Blogeintrag nach der OP, bzw. in der Zeit der Operation. Für mich schreibe und dokumentiere ich mir ohnehin alles nieder, deshalb mache ich das auch gerne. Ich hoffe außerdem, dass ich niemanden mit diesem kleinen Einblick verschreckt habe.
Sollte irgendetwas nicht hundertprozentig der medizinischen Richtigkeit entsprechen, entschuldige ich mich hiermit, aber ich bin Mami und keine Ärztin.
Danke fürs Lesen.